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Der Plot: “Biedermann & Brandstifter“ – Review – Album

23. August 2020 von

© Der Plot, Biedermann & Brandstifter © Der Plot, Biedermann & Brandstifter

Müssen Deutschrapper und Deutschrapperinnen heutzutage politisch sein oder ist es auch in Ordnung, wenn Personen des öffentlichen Lebens verstummen, wenn es um ernste Themen geht? Eine Gewissensfrage, zu der es vermutlich genau so viele unterschiedliche Positionen gibt wie dazugehörige Diskussionen im Feuilleton und den Hiphop-Medien. Rap und Politik sind ohne Frage in vielen Hinsichten miteinander verknüpft und weisen immer wieder bedeutende Parallelen auf, aber wie als Musizierender damit umgehen? Constantin Höft (Conny) und Maximilian Bohl (Elmäx) rappen seit 17 Jahren gemeinsam als Der Plot. Für ihr fünftes Album “Biedermann & Brandstifter” entschieden sie sich, ein vollständig politisches Konzeptalbum zu schreiben, das mehr schaffen soll, als die Zuhörenden bloß zu unterhalten.

Die Frage um die Notwendigkeit von politischen Stellungnahmen in der Musik ist für Conny einfach zu beantworten, zumindest was seine Ansprüche an sich selbst betrifft. Schon lang sieht er sich auch als Künstler selbst in der Verantwortung, auf politische Zeiten mit politischer Musik zu reagieren. “Biedermann & Brandstifter” ist solch eine Reaktion auf aktuelle Geschehnisse. Viele Konzeptalben erzählen eine Geschichte: Sie beginnen ruhig, spitzen sich zu, haben eine Höhepunkt und kommen letztlich zum Ende der Erzählung. Der Plot klingt in diesem Fall statt nach einem roten Faden viel eher nach einer großen Mindmap, die in Ansätzen versucht zu sammeln, was deutsche und europäische Politik in den letzten Jahren zu prägen schien. Die Alternative für Deutschland wurde in kürzester Zeit zu einer der stärksten Parteien des Landes, Menschen auf dem Mittelmeer werden weiterhin sich selbst überlassen und rassistisches Gedankengut steht plötzlich wieder in der Mitte der Gesellschaft, doch wie plötzlich kann das tatsächlich geschehen sein? Dieser Thematik widmet sich auch Max Frischs Theaterspiel “Herr Biedermann und die Brandstifter”, in welchem Herr Biedermann eine Gruppe Brandstifter in seinem Haus leben lässt und ihnen ermöglicht, sein Heim in Brand zu setzen – obwohl stets offensichtlich war, was die Gäste beabsichtigten. Dieses Beobachten einer langsam fortscheitenden aber auch offensichtlichen Zerstörung von innen setzen Der Plot in Vergleich zu den aktuellen politischen Geschehnissen und gehen dabei noch einen entscheidenden Schritt weiter: Conny und Elmäx sprechen nicht auf der einen Seite von Herr Biedermann und auf der anderen Seite von den Brandstiftern. “Biedermann & Brandstifter” setzt beide Positionen gleich und lässt uns selbst hinterfragen, wie viel Biedermann und wie viel Brandstifter in jedem einzelnen steckt.

Die Auseinandersetzung mit beiden Perspektiven erfolgt simpel: Beide Seiten dürfen zu Wort kommen. So begeben Der Plot sich innerhalb der elf Songs immer wieder auch in fremde Perspektiven, sei es in die eines gewaltbereiten Mobs (“Niemand hat die Absicht”) oder eines antifaschistischen Draufgängers (“Da Warten”). Wo auf einigen Tracks eine einheitliche Meinung vertreten wird, kommen auf anderen Songs verschiedene Lager in ein und derselben Strophe zum Vorschein. Auf den ersten Blick lassen sich Biedermann und Brandstifter kaum noch unterscheiden und es bedarf einer intensiven Auseinandersetzung mit beiden Welten. Conny und Elmäx ermöglichen mit ihren lyrischen Positionen genau das, ganz unabhängig davon, ob es tatsächlich ihre eigenen Werte sind, die sie darlegen.

Die erste Auskopplung “Fundamentalisten wirkt ein wenig wie die oberflächliche Themensammlung der bereits erwähnten Mindmap. Von Islamfeindlichkeit und dem Patriarchat über Homophobie oder Abtreibungsparagraphen bis hin zur Polizei und Liberalen wurden hier sämtliche Fässer aufgemacht und zeigten somit schon vor Albumrelease, was deutsche Politik und somit auch Der Plot maßgeblich zu beschäftigen scheint. Mit der Albumveröffentlichung zeigt sich hingegen, dass es nicht beim oberflächlichen Betrachten der diversesten Probleme bleibt, sondern dass einzelne Tracks unterschiedliche Abzweigungen der Mindmap aufgreifen und diese bis ins kleinste Detail auseinandernehmen. Dabei klingen besonders die ersten Tracks eher aufgebracht und gehen in die Offensive, sodass auf Seite des Musikpublikums ein Gefühl von Wut und Verzweiflung entsteht, egal ob durch das fiktive Tagesbuch eines Geflüchteten (“Libero”) oder die Darstellung des klischeehaftesten deutschen Patrioten (“Am Ende gewinnen die Deutschen”).

Nach anfänglicher Aufregung und Provokation setzt beim Zuhören aber schnell die gegenteilige Wirkung ein. Besonders “Frische Avocados” und “Mama Porzellan” nehmen musikalisch in den Arm und vermitteln ein behütetes Gefühl, welches kurz danach als Grundlage dient, emotional vollständig zugänglich zu sein. Auf einem minimalistischen Instrumental (“Casey Affleck”) begibt Elmäx sich in die Rolle verschiedener Männer, die in der Vergangenheit sexuell übergriffig wurden und ihre Taten nun halbherzig entschuldigen oder legitimieren. Die eindringlichen Worte in Kombination mit der Kürze des Tracks gehen ins Herz und verursachen genau das richtige Maß an unwohlem Bauchgefühl, das bei dieser Thematik in der Luft liegen sollte. Wohlmöglich landen Singles wie diese oder auch “Ich habe Fragen nicht gerade in überragend vielen Spotify-Playlists, doch im Kontext des Albums emotionalisieren sie im genau richtigen Moment und Ausmaß.

“Menschen konstruieren ihr ganzes Leben um die Angst vor Vergewaltigung herum / Aber achso, du fühlst dich eingeschränkt / Doch Casey Affleck kriegt den Oscar / Donald Trump wird Präsident / Gzuz bleibt ein Popstar / Klingt für mein Verständnis nicht gerade nach Opfer”

Der Aufbau dieser bedrückenden Stimmung findet jedoch rechtzeitig sein Ende, bevor die Belastung das Hörerlebnis negativ beeinflusst. Zum Ende des Album geben Der Plot einen antifaschistischen Gedanken mit auf den Weg (“Da Warten”), der das Musikpublikum mit ihren eigenen Gedanken zurücklässt und mehr zulässt, als nur über das gerade gehörte Album nachzudenken. Mit “Biedermann & Brandstifter” soll zu Diskussionen anregt werden – in meinen Augen erfolgreich. Natürlich wird dieses Album keinen überzeugten Patrioten dazu motivieren plötzlich gegen Rechts auf die Straße zu gehen. Aber “Biedermann & Brandstifter” animiert, ohne den Zeigefinger zu sehr zu erheben, dazu, die Initiative zu ergreifen statt zuzuschauen.

Fazit: In diversen Ansätzen zeigt sich, wie auch auf vorherigen Releases, welches Können Conny und Elmäx mitbringen, sowohl was den Sound betrifft als auch die Fähigkeit, textlich den richtigen Grad zwischen “zu verschachtelt” und “zu offensichtlich” zu treffen. Besonders die von Elmäx verwendete Bildsprache und Metaphorik macht “Biedermann & Brandstifter” zu einem ganz besonderem Release. Der Plot haben sich jedoch bewusst dazu entschieden, nicht nur ein Album zu produzieren, sondern auch Menschen erreichen zu wollen, was für den Klang des Albums im Umkehrschluss auch bedeutet, dass der Sound an vielen Stellen möglichst einfach gehalten wird, um eine gewisse Zugänglichkeit zu ermöglichen. Abgesehen von vereinzelten künstlerisch-experimentellen Ansätzen ist das Album doch vor allen Dingen so produziert, dass es den Mainstream erreicht, denn auch dort soll die Botschaft ankommen. Das bedeutet, dass nur wenige Tracks vom standardisierten Part-Hook-Part-Hook-Muster abweichen, während die Instrumentals kaum mit Besonderheiten hervorstechen und sich der selbe Vier-Takt-Loop eher gleichbleibend wiederholt. Doch das mag bei dieser Art Konzeptalbum auch gar nicht der Anspruch sein. Hier steht nicht im Vordergrund, wie beeindruckend Der Plot musizieren können, wie sie bereits auf bisherigen Releases unter Beweis stellten.

Auf “Biedermann & Brandstifter” geht es in erster Linie darum, sich zu fragen, wie viel Biedermann oder Brandstifter eigentlich in uns selbst steckt, und genau dafür ist es eben nötig, die Masse zu erreichen. Deutsche Politik und Gesellschaft funktionieren ohne Frage in diversen Hinsichten wie Herr Biedermann, denn auch wir bieten Brandstiftern die Möglichkeit, Feuer zu legen. Sollten Rechte noch in Talkshows eingeladen werden oder darf man ihnen keine Bühne geben? Wie geht man mit Nationalsozialisten auf den Straßen um? Verschwinden Probleme, wenn man sie in der Öffentlichkeit totschweigt? Der Plot schafft es die Hörerschaft dazu zu bringen, sich mit genau diesen Fragen auseinanderzusetzen und sich dem eigenen inneren Biedermann bewusst zu werden, so dass durch das eigene Umdenken möglicherweise kommende Feuer gar nicht erst entfacht werden, bevor sie außer Kontrolle geraten.

Autorin: Nelleke Schmidt

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23. August 2020

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